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Fallbeispiel #10 - Kleinkind mit Oberschenkelbruch

Ich schließe meine Blog-Reihe „Was kann Kinderphysiotherapie“ mit einem kleinen 2 ½ jährigen Mädchen, dass nach einem zweifachen Oberschenkelbruch mit ihrer Mama zu mir in die Praxis gekommen ist.
Es war, laut den Ärzten, alles wieder gut verheilt, aber die Mutter hatte irgendwie das Gefühl „da braucht es noch etwas Unterstützung“, denn sie wollte nicht, dass ihr gleich wieder sowas passiert. Die zwei Brüche waren kurz hintereinander – einer war sozusagen ausgeheilt und dann ist sie gleich noch mal hingefallen und hat sich mehr oder weniger an derselben Stelle den Oberschenkel gebrochen. Ein Gips ist natürlich für ein Kind, was eigentlich nur durch die Gegend rennen mag, eine extreme Einschränkung und Belastung.

 

Bei Kindern bis zum Alter von drei Jahren lässt sich ein Oberschenkelbruch im Schaftbereich manchmal auch konservativ, das heißt ohne Operation behandeln. Dabei wird das Bein durch einen so genannten Becken-Bein-Gips für etwa vier Wochen ruhiggestellt.


Die Kleine hat, nach den Unfällen, alles vorsichtig gemacht, war sehr unsicher in ihren Bewegungsabläufen und ist zu diesem Zeitpunkt z. B. immer im Bärengang (auf Händen und Füßen) die Treppe rauf gegangen. Die Mutter berichtet aber, dass sich die Kleine auch vor den Unfällen eher unsicher und vorsichtig bewegt hat. Vor den beiden Brüchen ist sie aber schon gelaufen und hat das zum Zeitpunkt des Therapiestarts nicht mehr gemacht. Auch Hüpfen war für sie noch nicht wieder möglich.


Im Laufe des Erstgespräches hat die Mutter unter anderem erzählt, dass die Kleine im ersten Lebensjahr nicht gekrabbelt ist und erst mit 1 ½ Jahren frei gegangen ist. (Anmerkung von mir: dieses „späte Gehen“ ist für mich überhaupt kein Problem, wenn das Kind vorher alle Schritte der Entwicklung gut und ausdauernd durchgemacht hat).


Bei der Befundung zeigt sich, dass meine kleine Patientin sehr empfindlich war bei ihren Füßen. Sie wollte sich überhaupt nicht gern berühren lassen. Für mich wieder etwas, bei dem ich hellhörig werde, denn wenn ich meine Füße nicht gut spüren kann, dann gehe und bewege ich mich natürlich anders und viel unsicherer. Damit ist dann die Wahrscheinlichkeit für Unfälle bei höherer Geschwindigkeit sicher größer als bei anderen Kindern.


Viele Dinge, die mir beim Befund aufgefallen sind, waren dann eher Zufallsbefunde, die ohne Therapie wahrscheinlich gar nicht bemerkt worden wären, denn in dem Moment haben sie ja keine Probleme gemacht. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der Zukunft Schmerzen verursachen können, ist sehr groß. Neben der Überempfindlichkeit bei den Füßen zeigte sich eine Haltungsschwäche in Form von einem nach vorn gewölbtem Bauch und einem Hohlkreuz im Bereich des unteren Rückens – das zeigt ein Muskelungleichgewicht im Rumpf und ist auf Dauer nicht gesund. Außerdem war eine (nicht behandelte) Säuglingsskoliose sichtbar – aufgefallen ist sie aufgrund der asymmetrischen Pofalte und des einseitig höherstehenden Schulterblatts.

 
Was ist eine Säuglingsskoliose?


Die Seitverbiegung der Wirbelsäule beim Neugeborenen oder Säugling (Säuglingsskoliose) ist meist durch eine Fehllage ("Schräglage") im Mutterleib ausgelöst und hat eine gute Prognose bei sofortigen Interventionen  (z. B. in Form von Lagerungen entgegen der einseitigen Krümmung). In der Regel handelt es sich um eine langbogige Verbiegung nach links oder rechts.

Das ist bei einem Kind diesem Alter im Nachhinein nicht mehr so leicht zu beeinflussen/ auszugleichen, denn sie bleiben zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wirklich gern länger sitzen oder liegen. Oft gebe ich den Eltern Tipps/ Lagerungsmöglichkeiten als "Hausübungen" mit, weil die sich zu Hause (in Ruhe) meist besser umsetzen lassen, als in der Therapie.

 
In der Therapie stand die Körperwahrnehmung im Vordergrund, neben Möglichkeiten, die Asymmetrie in der Wirbelsäule auszugleichen und dem Körper mehr Stabilität und Sicherheit zu geben, um weitere Unfälle zu verhindern. Bei Kindern in diesem Alter kann man z.b. sehr gut mit verschiedenen Massagegeräten (z.b. Igelbällen), Bohnenbad oder den Fußfarben arbeiten. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

 

Natürlich ist auch hier das Barfußgehen wieder sehr wichtig, denn nur dabei spürt man seine Füße wirklich gut und schult die Sicherheit beim Gehen, vor allem auf unterschiedlichen Untergründen.
In diesem Alter muss die Therapie wirklich immer gut ins Spiel „verpackt“ sein, denn die Kinder verstehen ja noch nicht so gut, warum wir gewisse Dinge tun. Aber wenn ich die Fußfarben auspacke, dann gibt es meist strahlende Gesichter und das fordern viele dann auch immer wieder ein.

Wenn ihr gern weitere Geschichten und Fallbeispiele aus der Praxis hören wollt, dann schreibt das einfach in die Kommentare. Ich habe noch viel zu erzählen
😊 die Geschichten gehen mir sicher nicht aus 😉

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